Die Produktion
Die einzelnen Szenen inklusive aller Videos, Projektionen und Trickfilmsequenzen entstanden über mehrere Jahre hinweg in der Werkstatt des Karin Schäfer Figuren Theaters. Basierend auf ihrer intensiven Beschäftigung mit bildender Kunst, die sie in ihrer kreativen Arbeit, beim Bau von Figuren, Requisiten und Bühnenbildern sehr beeinflusst, lässt Karin Schäfer vielfältige Inspirationen aus unterschiedlichsten Werken der bildenden Kunst in ihre Arbeit einfließen.
So wie Albéniz in seiner Musik einzelne Melodien, Rhythmen und Motive aus der traditionellen Musik Spaniens in seine Komposition einwebt, so setzt Karin Schäfer auch in ihrer visuellen Umsetzung Elemente aus zahlreichen Werken von bildenden Künstlern und Künstlerinnen ein, als visuell-theatrale Hommage, um diese zugleich zu etwas völlig Neuem, Einzigartigem zu verbinden.
Die Produktion kann mit jedem Orchester, mit Pianist°innen und gerne auch anderen Ensembles, die dieses hochkomplexe Werk beherrschen, live auf der Bühne gezeigt werden. Nur wenige gemeinsame Proben dazu sind erforderlich.Von den insgesamt 12 Stücken, die laut Albeniz - mit Ausnahme des ersten und des letzten - in beliebiger Reihenfolge gespielt werden können, haben wir bisher acht realisiert:
Evocación
bedeutet "Heraufbeschwörung, Erweckung, Erinnerung" und Albeniz beschwört damit gleich zu Beginn die Erinnerung an "sein" Spanien herauf - ein sehr traditionelles, in religiösen Bräuchen, alten Rhythmen und historischen Stadtvierteln abgebildetes Spanien, dem er seine im Gegensatz dazu äußerst moderne und innovative musikalische Umsetzung gegenüberstellt.
Wir beginnen mit der "Erweckung" eines Bildes - eines großformatigen Gemäldes von Karin Schäfer, das sie beim Malen über mehrere Wochen hinweg Schritt für Schritt abgelichtet und dann zu einem Trickfilm zusammengesetzt hat. Schon in diesem Prozess selbst ist genau das nachgebildet, was die Faszination des Meeres, der Ozeane ausmacht: unendlich und vielschichtig sind diese und vielfältig sind auch die einzelnen Ebenen, die sie übereinander gemalt hat: Fische und Meeresgetier in den untersten Malebenen, darüber Wellen, der gespiegelte Himmel, die endlose Bewegung. Auf einer zweiten Ebene vor dem Bild kreutzt ein Schiff mehrmals diesen gemalten Ozean, so wie der Mensch das Meer befährt um beständig zu neuen Ufern aufzubrechen. Schließlich kommt live auf der Bühne noch eine weitere Ebene dazu: Elemente der Meeresbildern von Henry Matisse legen sich als Schattenspiel über das riesige, leuchtende Gemälde.
El Puerto
Der Hafen - hier herrscht wildes Treiben, er ist Ausgangsort, um Horizonte zu erreichen und neue zu finden. Es ist ein Ort der Sehnsüchte und Träume, unüberschaubar, nicht nachvollziehbar, nahezu surreal. Ein Poppet - eine weiße, unbestimmbare, kleine Figur - mischt sich mit Elementen des Surrealisten René Magritte, verwandelt sich in eine Art Vogel. Kamera und Projektion spiegeln das ganze mehrfach, vielfach, bis in scheinbare Endlosigkeiten hinein, bis alles zusammen zwischen Himmel und Meer verschwindet.
El Corpus en Sevilla
bezeichnet das virtuoseste Stück in diesem Klavierzyklus, es bezieht sich auf den Fronleichnamsumzug in Sevilla, wobei die visuelle Umsetzung Anleihe nimmt bei den ebenso pompösen Umzügen mit Marienstatuen in ganz Spanien. Thematisiert wird der Zwang, den Gesellschaften und Religionen auf Frauen ausüben und dem gegenüber wird eine Symbolik des Sich-befreiens gesetzt: "Augen öffnen", inspiriert von zahlreichen weiblichen Augenpaaren aus der Welt der Malerei.
Triana
heißt ein Stadtviertel in Sevilla, das als eine der Wiegen des Flamenco gilt. Es zeigt seinen Besuchern zwei unterschiedliche Gesichter: schmutzige, enge und gefährliche Gassen, voll von zwielichtigen Gestalten auf der einen, Orte eines genuinen künstlerischer Ausdrucks auf der anderen Seite. Dem gegenüber steht auf der Bühne ein ebenso zweiseitiges Maskenpaar, basierend auf Klimts berühmtem Bild "Der Kuss", dessen Protagonisten lebendig werden, in Widerstreit treten und die jeweils andere - sehr überraschende - Seite ihrer Gesichter zeigen.
El Albaicín
ist hingegen das Stadtviertel des Flamencos in Granada, einer anderen, ebenso berühmten Stadt in Andalusien. Beim Flamenco werden durch den "Zapateo" die Schuhe der Tänzer zu musikalischen Instrumenten, gespiegelt im Rhythmus von Albéniz' Musik. Durch eine andere Art von Spiegel betrachten wir das Leben und Treiben auf einem spanischen Platz aus einer ganz neuen Perspektive, nämlich von unten! Als wäre der Boden aus Glas und wir könnten von tief unten nach oben blicken, sehen wir die kurzen, alltäglichen Szenen im "El Albaicín" - dargestellt von Barbie-Puppen-Schuhen und -requisiten.
El Polo
nennt man einen andalusischen Tanz, der eigentlich ein "cante jondo" ist, schwer und ernsthaft, hier bei Albéniz aber eher schwerelos und plaudernd klingt. Auf der Bühne lässt Karin Schäfer dazu Bilder aus Albéniz' Leben in sphärische Kugeln à la H.C. Escher schweben - alles ist schwarz-weiß, wie Scherenschnitte aus dieser Zeit. Doch viele, ja die meisten, der Kugeln zerplatzen wie Träume und Illusionen, von einer langfingrigen, schicksalhaften Gestalt berührt. Eine Chronik der leichtfüßigen Enttäuschungen, passend zur Ambivalenz der Musik und des Rhythmus, denn das Leben ist fragil - Albéniz hat es ausgiebig, aber nur knapp 49 Jahre lang, genossen.
Jerez
"...de la Frontera" ist der vollständige Name der Hauptstadt des spanischen Sherry. Eine Stadt im Innenland, aber "an der Grenze" - über Jahrhunderte erschüttert vom Kampf der Christen mit den Mauren, später reich und berühmt aufgrund seiner riesigen Weingüter. Inspiriert von der Künstlerin Deborah Sengl und ihrer Arbeit "Die letzten Tage der Menschheit" nach Karl Kraus formt sich das Bild einer Zeit, die "an der Grenze" steht: eine barocke Perücke als Symbol einer reichen, im Überfluss lebenden, dekatenten Gesellschaft und Ratten, die das Ende dieser morbiden, untergehenden Epoche einläuten.
Malaga
schließlich ist eine Stadt in Südspanien, direkt am Meer, in grüner Umgebung und durchflutet von Sonne. Eines der häufigst verwendesten und typischsten spanischen Requisiten kommt hier ins Spiel: der Fächer. Von klein bis riesengroß findet er sich auf der Bühne wieder, in einer Bewegungschoreographie, die in ein umfassendes Schlussbild mündet: ein Graffiti des Streetartkünstlers Banksy zeigt einen vermummten Straßenkämpfer, der (statt mit Steinen) mit Blumen wirft. Hier schließt sich der Bogen von der Vergangenheit zur Gegenwart, von bildender zu darstellender Kunst, von Musik zu visuellem Theater,